RNZ Portrait

In allen erdenklichen Tonfarben und Klangkaskaden:

Die ganze Welt in einer Stimme

Die Heidelberger Sängerin Jutta Glaser ist eine der ungewöhnlichsten Künstlerinnen der Region und in allen Stimm- und Tonlagen zu Hause – Improvisation und Weltmusik im besten Sinne

Von Peter Wiest

Es gibt nichts, wirklich absolut nichts, was diese Sängerin mit ihrer Stimme nicht ausdrücken könnte. Es gibt keine Tonlage, die sie nicht beherrscht; es gibt keine Stimmungslage, die sie gesanglich nicht beschreiben und darstellen könnte. Sie ist die absolute Meisterin des lockeren gesanglichen Spaziergangs zwischen Melancholie und Wohlklang auf der einen Seite, der schrägen und fast bis an die Aufnahmefähigkeit des Gehörs gehenden Töne auf der anderen.  Mit das Besondere und Schöne dabei: Selbst wenn sie tatsächlich mal gesanglich auf der schrägen Seite wandelt, wird das Ganze niemals zu einer anstrengenden und Geduld erfordernden Hörprobe, sondern immer wieder zu einem mitreißenden Parforce-Ritt durch die schiere Urgewalt des Gesangs.

Ja, Jutta Glaser ist eine ungewöhnliche Sängerin – und eine auf ihre Art einzigartige.  Die Wahl-Leimenerin, die in Hauenstein in der Nähe von Pirmasens aufwuchs und deren musikalischer Weg dann über Speyer und Mannheim schwerpunktmäßig nach Heidelberg und Umgebung führte, kam bereits als Kind mit seltenen und ungewöhnlichen Klängen der Instrumentenwelt in Kontakt. Ihr Vater spielte die Singende Säge; der Großvater das Akkordeon; die Mutter wurde „Weiße Taube“ genannt, anscheinend weil sie gurrte wie ein Täubchen? „Hörbares und Unerhörtes“ habe sie so aufgenommen, sagt die Sängerin heute. Und genau das ist es, was sie mittlerweile seit vielen Jahren selbst mit ihrer eigenen Stimme zum Ausdruck bringt und was sie letztendlich musikalisch lebt und auslebt.

Jazz, Rock, Pop, Swing, Folk, sogar Schlager: Genres haben noch nie eine Rolle gespielt, wenn Jutta Glaser ihre Stimme erhebt, dabei natürlich auch in allen Tonlagen perfekt singt, darüber hinaus jedoch auch Tonkaskaden der eigenen Schöpfung einbringt. Dabei ist sie stets nach allen Seiten offen, folgt gerne auch mal zunächst bestehenden Tonpassagen und kompositorischen Vorgaben – mündet dabei jedoch so gut wie immer im Improvisatorischen, was dann dem jeweiligen Song stets ein typisch Glaser’sches Gepräge gibt. „Ja, die stimmliche Improvisation ist meine große Leidenschaft“, sagt die Künstlerin denn auch selbst: „Das ist schließlich genau das, was mir am meisten Spaß macht an der Musik. Und besonders interessant ist es mit anderen Musikern Improvisation zu erleben, nicht zu wissen, was kommt,sich überraschen lassen,-so wie es ja jetzt auch im Leben mit Corona war….

Auch wenn sie bereits relativ früh ihren eigenen Weg fand, stand Jutta Glaser erst mit 24 Jahren als Sängerin auf der Bühne und hatte zunächst diverse Auftritte in der Pfalz. Zuvor hörte sie, wie sie selbst erzählt, „die damals noch sehr wenigen Jazz-Sängerinnen, die es in diesem Genre damals gab“, und nennt als Vorbilder Namen wie Sarah Vaughan, Carmen McRae, auch Ella Fitzgerald: „Aber nicht Billie Holiday; das war nie meine Welt“. Parallel zur eigenen Musik absolvierte sie danach Ausbildungen als funktionale Stimm- und Atemtypen-Trainerin und außerdem zum Stegreif-Coach (Improvisation mit Chören). Seit über 25 Jahren singt sie in den unterschiedlichsten Formationen und hat unter anderem mit Horst Jankowski, Günter Lenz, Michael Koschorek, Jochen Brauer und vielen anderen zusammen gearbeitet. Besonders intensive musikalische Kooperationen sind zudem ein Duo mit dem Gitarristen Claus Boesser-Ferrari und eine Band mit Zélia Fonseca. Auf Tourneen war sie auch bereits in Neuseeland, Estland, Russland und zahlreichen europäischen Ländern.

Aus den CD-Produktionen von Jutta Glaser sticht das 2019 veröffentlichte Album „Kantoj“ hervor, auf dem unter dem Motto „The World in one Voice“ („Die Welt in einer Stimme“) Volksmusik der unterschiedlichsten Art aus vielen Ländern interpretiert und neben Englisch und Deutsch hauptsächlich in Esperanto gesungen wird. Das Spektrum reicht dabei von einem rumänischen Wiegenlied über ein Volkslied aus Haiti und einen typischen Blues bis zu einer Jodel-Improvisation aus der Schweiz und einem Arrangement von „Es geht eine dunkle Wolke herein“ aus dem 15. Jahrhundert:  Allesamt in typisch Glaser’scher Manier dargeboten und Hör-Erlebnisse der besonderen Art.

Ein neues Album ist derzeit noch nicht in Sicht. Dafür hat die Sängerin für die kommenden Wochen bereits diverse Auftritte geplant, wird zudem demnächst auch wieder unterrichten und ist an etlichen musikalischen und theatralischen Projekten beteiligt. Dazu gehören unter anderem eine  Licht- und Tanzperformance-Ortopien,  mit Claus Boesser-Ferrari, Nils Herbstried und Wayne Götz, ein Abend mit Gedichten von Etel Adnan in der Mannheimer Feuerwache,mit Claus Boesser-Ferrari und dem libanesischen Gitarristen Sharif Senaoui  und nicht zuletzt das große Theaterprojekt „Antigone“ mit mehreren Aufführungen in der Handschuhsheimer Tiefburg (wir berichteten in unserem Feuilleton), bei denen Jutta Glaser mit der Cellistin Katja Zakotnik sowie den „Hendsemer Krischern“ auftreten wird. Wenn alles gut geht, wird sie zudem noch in diesem Jahr ihre unter dem Schlagwort „voice and chords“ („Stimme und Saiten“) angebotenen Workshops für Jazz und Anderes in Italien („Sommermusik“)  und Frankreich wieder aufnehmen, die sie seit sechs Jahren im Sommer dort gemeinsam mit dem Gitarristen Paulo Morello durchführt (www.voiceandchords.de). Weiter laufen wird schließlich auch das Projekt „Spielraum Musik – Musik als Heimat“, das sie mit drei Kollegen seit fünf Jahren für geflüchtete Kinder und Erwachsene in der Unterkunft Henkel-Teroson in Heidelberg durchführt und nicht zuletzt freut sie sich über die Hofgesänge in Leimen,die nun wieder in den Äther gesungen werden können.

rnz